und das licht leuchtet...
Das malerisches Werk von Nghia Nuyen zeigt das menschliche Gesicht, welches frontal in Serie gesetzt wird. Der Blick der Dargestellten wird nicht privilegiert. So erstaunt es nicht, dass die ersten entstandenen Bilder sogar Gesichter mit geschlossenen Augen zeigen. Auch repräsentieren die Porträtierten keine Moral, keine soziale Schicht, kein ethisches Anliegen. Das malerische Werk verweist auf das Gesicht hinter den Gesichtern. In deren seri- eller Reihung und der daraus resultierenden semantischen Entleerung scheint etwas auf, das – soweit dies im Bereich des Sinnlichen möglich ist – einer Idee des Gesichts nahe kommt. Um der Idee gewahr zu werden, das wissen wir spätestens seit Platon, gilt es, von der Einzelerscheinung zu abstrahieren.
So lässt sich sagen, dass Nuyen die Porträtierten im Porträt verschwinden lässt. Sie verschwinden durch ihr Aufscheinen im Scheinen der Anderen. Indem Nuyen aber jedem Porträtierten eine eigene Bildbühne zugesteht, greift das serielle Moment nie den subjektiven Wesenskern der Porträtierten an, wenngleich dieser in formaler Hinsicht nicht betont wird. In gewisser Hinsicht symbolisieren Nuyens Porträts so den grundlegenden Zwiespalt der Moderne: Das Verschwinden des Menschen in der Menschenmasse bei gleichzeitiger Einforderung der größtmöglichen Entfaltung von Identität, Subjektivität und Individualität.
Mit den Neon-Lichtarbeiten setzt Nghia Nuyen die Beschäftigung mit dem Thema der Identität bzw. der Unmöglichkeit einer eindeutigen Identitätsbestimmung fort. Während die bewusst knapp gehaltenen Titel der Neon-Lichtarbeiten wie „der Philosoph“, „der Humanist“ oder „der Exsitenzialist“ eine trügerische Klarheit suggerieren und kollektive Stereotypen heraufbes- chwören, konterkarieren die Neon-Schriftzüge diesen manifesthaften Charakter und lassen die inhärente Ironie einer Verallgemeinerung wie „der Philosoph“ oder „der Humanist“ im wahrsten Sinne des Wortes aufscheinen. Aus einem „Sic est!“ wird ein „Fortasse sic est!?“
Mit der aufwändigen Neon-Installation „Der Deutsche“ schließlich fächert Nghia Nuyen die vielfältigen Aggregatszustände der Identität (in diesem Fall: der Nationalität) am Beispiel des Verbs „Sein“. Die gegenüberges- tellten Konjugationsreihen von Infinitiv und Konjunktiv lassen „Sein“ nicht als Essenz, sondern als ein komplexes und labiles Zusammenspiel von Ist- und Soll-Zuständen, von zukünftigen und vergangenen Unwägbarkeiten, von Potentialitäten und Prozessen aufscheinen. Damit führt Nghia Nuyen eine Pauschalisierung wie „Der Deutsche“ ad absurdum ohne moralisierend zu wirken und verweise auf die unabschließbare und gerade deshalb so unerläss- liche Aufgabe der Identitätsfindung.
Jörg Scheller, Kunsthistoriker, Karlsruhe
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