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Vom Verschwinden der Porträtierten in Nghia Nuyens Porträts

Wer ein Porträt seines Antlitzes anfertigen lässt, verfolgt gemeinhin die Absicht, sich darin zu verewigen. Denn wer porträtiert stirbt, stirbt gleichsam etwas beruhigter: er lebt weiter als Bild. Im Porträt ist jeder von uns ein wenig Pharao; in jedem Schnappschuss steckt ein Stückchen Pyramide. Diese flachste aller Pyramiden soll heute sowohl die Individualität, als auch den sozialen Status und die Geisteshaltung des Porträtieren repräsentieren und bewahren. Ragte der Pharao nach dem Exitus in all seiner abstrakten, perfekten Göttlichkeit aus dem Wüstensand, so sichert sich der moderne Mensch sein Andenken als Menschlicher, Allzu-Menschlicher, in Öl, auf Fotopapier oder neuerdings in Bits & Bytes.

In der Porträtserie, die der Maler Nghia Nuyen seit 2003 in Öl erstellt, begegnet uns eine eigenartige Umkehrung dieses Prinzips. Weder ist Nuyen an der Repräsentation der Individualität seiner Modelle interessiert, noch fühlt er sich der Sorge um deren Unsterblichkeit verpflichtet. Anders als Gerhard Richters "48 Porträts" (1972), die ausschließlich prominente, bereits ins kollektive Gedächtnis eingegangene Denker zeigen; anders auch als Andy Warhol, der sich auf Künstler und Popstars kaprizierte, wählt Nuyen seine Figuren ohne Systematik aus: Medienstars, Freunde, Bekannte, Familienmitglieder, Künstlerkollegen. Vor Nuyens Pinsel sind alle gleich - zumindest in ihrer Eigenschaft, von ihm porträtiert zu werden. An Stelle eines lexikalischen "someone" tritt hier ein aleatorischer "anyone". So erfährt etwa das Porträt von Joseph Beuys weder hinsichtlich Ausführung, Größe oder Rahmung eine Sonderbehandlung. Der zu spät gekommene Kunst-Messias, autoritärer Guru und romantischer Heilsverkünder, kehrt hier als bloßes Steinchen in einem Mosaik der Konterfeis wieder. Jeder Mensch ist ein Beuys, scheinen die Bilder untereinander zu tuscheln. Stein um Stein fügt Nuyen zu diesem Mosaik - wie soll das bloß enden?

Die Antwort lautet: gar nicht. Nuyen fasst den Begriff der Serialität in einem strengen Sinne auf: Anders als der Zyklus ist die Serie niemals abgeschlossen. Sie ist potentiell unendlich, anti-narrativ und abstrahiert von der Semantik ihrer Sujets. Für das "Neue" interessiert sie sich nicht, vielmehr ist sie von den Strukturen der Rituale fasziniert, mit Hilfe derer wir unser Leben ordnen. Selbst das Gewöhnliche, Banale und Immergleiche scheut sie nicht, denn in der Perspektive der Unendlichkeit verliert das im Begriff der Innovation enthaltene lateinische Adjektiv "novus" jeglichen Sinn.

In den meisten Fällen setzen seriell arbeitende Künstler deshalb bereits vorab auf möglichst "uninteressante" Motive. Claude Monet untersuchte 1891 das Wechselspiel des Lichts nicht etwa auf der sublimen See oder auf mächtigen Gebirgsrücken - in der Serie "Les Meules" erblicken wir vielmehr die Illumination trivialer Heuschober. Ein halbes Jahrhundert später griff Sol Le Witt für seine modularen Skulpturen auf die Elementarform des Kubus zurück: "Die interessanteste Eigenschaft des Kubus ist, dass er relativ uninteressant ist", schrieb er 1966. Kurz zuvor hatte der polnische Maler Roman Opalka diesen reduktionistischen Gestus bereits unterboten und begonnen, fortlaufend Zahlen mit weißer Farbe auf grauen Grund zu malen. Auf den ersten Blick ähnelt Nuyens Ansatz diesen Projekten - und ist in seiner Spezifik doch gänzlich verschieden.

Das menschliche Gesicht nämlich, welches Nuyen frontal in Serie setzt, bezeichnen wir in der Regel als "interessant" a priori. Unsere Gesichter, das ist common sense, sind unsere Schaufenster, in denen wir unsere Bedürfnisse und unsere inneren Regungen ausstellen.
Als Gesichtsserialist steht Nuyen zwar nicht alleine, wie wir bereits eingangs an den Beispielen von Gerhard Richter und Andy Warhol sahen. Auch der Fotograf Ken Ohara fertigt Porträtserien an und arrangiert diese in repetitiven Clustern. Doch während Ohara auf den ausdrucksvollen Blick der Dargestellten fokusiert, begegnen wir bei Nuyen keiner solchen Konzentration auf die "Fenster zur Seele". Der Blick der Dargestellten wird nicht privilegiert. So erstaunt es nicht, dass die ersten entstandenen Gemälde der Serie sogar Gesichter mit geschlossenen Augen zeigten. Auch (re)präsentieren die Porträtierten keine Moral, keine soziale Schicht, kein ethisches Anliegen.
Was aber zeigen sie dann?

Die Arbeiten von Nuyen verweisen auf das Gesicht hinter den Gesichtern. Gerade in der seriellen Reihung und der daraus resultierenden semantischen Entleerung scheint etwas auf, das - soweit dies im Bereich des Sinnlichen möglich ist - einer Idee des Gesichts nahe kommt. Um der Idee gewahr zu werden, das wissen wir spätestens seit Platon, gilt es, von der Einzelerscheinung zu abstrahieren. Bereits im Leben müssen wir ein klein wenig sterben, der Unmittelbarkeit des Sinnlichen entfliehen, um den Matrizen der Existenz zu begegnen.

Bei Nuyen besorgt die Serialität den ersten Akt der Entrückung, den Rest übernehmen der lasierende Farbauftrag, die aufwändige, aber keinen außer-bildlichen Lichtverhältnissen verpflichtete Modellierung sowie die leicht morbide Anmutung der Farbregie. Flechtenartig, amöbenhaft breiten sich Pinselstriche innerhalb der Konturen aus. Wir werden Nuyens Figuren gewahr, als befänden sie sich bereits im Zustand der Zersetzung, des Absterbens, der Auflösung. Doch was stirbt, befindet sich noch im paradoxen Zustand des Lebens, das in seiner ironischen Unausweichlichkeit, gleichsam auf autoimmunisierende Weise, die Heterogenität der Existenz durchmisst und Tag für Tag seinen eigenen Suizid vorbereitet. An Stelle der Leben der Einzelnen tritt in Nuyens Gemälden das Leben als Teilhabe am Leben - und damit am Sterben. Die Nah- und Fernsicht der Arbeiten spiegelt dieses Paradox ästhetisch wieder: Aus der Ferne evozieren die Gemälde den Eindruck von Starre und Morbidität, in der Nahsicht jedoch, welche die einzelnen Farbflächen erkennen lässt, erscheinen sie bewegt und farbenfroh.

Diese Durchdringung des Spezifischen durch das Allgemeine wird auch anhand eines weiteren formalen Details deutlich. Interessanterweise trägt Nuyen die Nicht-Farbe Weiß nicht auf, sondern spart Bereiche innerhalb der Farbflächen aus, in denen das Weiß der Bildgrundierung aufscheint. Dieses neutrale, kühle Weiß, die stumme Kongregation aller Farben, dringt unmerklich aus dem Hintergrund in die Malschicht vor - vielleicht auf ähnliche Weise, wie wir selbst in all unserer gefühlten und faktischen Einzigartigkeit stets durchdrungen sind vom Unbewussten der epistème.

So lässt sich sagen, dass Nuyen die Porträtierten im Porträt verschwinden lässt. Sie verschwinden durch ihr Aufscheinen im Scheinen der Anderen und fragen: Sind wir nicht alle ein wenig Serie? Indem Nuyen aber jedem Porträtierten eine eigene Bildbühne zugesteht, greift das serielle Moment nie den subjektiven Wesenskern der Porträtierten an, wenngleich dieser in formaler Hinsicht nicht betont wird. In gewisser Hinsicht symbolisieren Nuyens Porträts so den grundlegenden Zwiespalt der Moderne: Das Verschwinden des Menschen in der Menschenmasse bei gleichzeitiger Einforderung der größtmöglichen Entfaltung von Identität, Subjektivität und Individualität.

Erst mit der Präsentation in der Ausstellung jedoch gibt Nuyen seinem Werk den entscheidenden twist. Ohne die Hermetik des Seriellen in den Arbeiten selbst anzugreifen, eröffnet er den Porträts im Kontext einer eigenwilligen Ausstellungsarchitektur neue Bedeutungsebenen. So werden beispielsweise sechs Porträts auf ungefährer Augenhöhe des Betrachters in ein aus dünnen Stahlstreben bestehendes hexagonales Prisma integriert, von dessen Ober- und Unterkanten ausgehend weitere Streben abgeflachte Pyramiden bilden, die alternierend zur Raummitte und zu den Raumwänden hin angeordnet sind. Auf den schmalen Oberseiten dieser Pyramiden platziert Nuyen seine Porträts - sie befinden sich also dort, um eine technische Analogie zu benutzen, wo in der Braunschen Röhre des Fernsehers der Katodenstrahl die Elektronenkanone verlässt. Die Ebene der Narration verlagert sich dergestalt ins Medium der Ausstellungsarchitektur. Wie diese Narration zu deuten ist, überlässt Nuyen dem Betrachter. Nicht aber ohne einen entscheidenden Fingerzeig zu geben: Auf den Rückseiten der im Gestell des Prismas schwebenden Porträts hat Nuyen Glasplatten befestigt, in denen sich der Betrachter spiegelt - und selbst Teil der Inszenierung wird.

Jörg Scheller

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